Rungholt und die Fakten

Aufgrund der intensiven Forschung einiger Rungholtforscher kann man sich heute ein gewisses Bild von Rungholt erschliessen. Allerdings weiß man immer noch relativ wenig über die Stadt und ihre eigentliche Bedeutung im Mittelalter. Auch ihr Untergang liegt bis heute weitesgehend im Dunklen.

 

 

Rungholt und die Edomsharde

Die Edomsharde war ein Verwaltungsbezirk in Nordfriesland. Rungholt gilt als Hauptort dieser Harde. Eine Harde teilte sich ein in mehrere Kirchspiele. Die Kirchspiele waren wiederrum unterteilt in mehrere Bauernschaften. 

 

Das Rungholt zu dem Verwaltungsbezirk der Edomsharde  gehörte zeigt uns die sogenannte "Designatio der Harden und Kercken in Frisia Minori oder Nordfreßland (1240)" in dieser Niederschrift werden die Kirchspiele innerhalb der Harden in Nordfriesland aufgezählt. Für die Edomsharde ergibt sich dabei folgendes Bild:

Edomsharde: Gackenboll, Stinteboll, Odenbull, Helgens vel Niendam, Rungholt, ein Flecken, Ackenboll, Hereßboll, Emtsboll, Overmartfloth, Uttermartfloth, Feddrings Capell, Obbenboll, Brunock vel Brunoctum, Siverts Capell.

Bis auf Odenbüll und der heutigen Kirche auf Nordstrand St. Vincent gingen alle diese Harden spätestens in der Buchardiflut, nur knapp 300 Jahre nach Rungholt unter. Ein weiteres schriftliches Dokument zeigt genau welche Kirchspiele bereits in der ersten Flut verloren gingen. Der Schleswiger Bischoff Nicolaus Brun liess kurz nach der Flut eine Liste der verlorenen Kirchspiele erstellen.

"Edomsharde: Illegroft, Bruneke, Stuntebull, Haligenaß, Niegedam, Rungehalt, Ackenbul, Gunder Marflott und parochia Feddering Man oder Rip".

Die Bewohner der Edomsharde gehörten zu den sogenannten Königsfriesen. Zu ihnen zählten insgesamt 13 verschiedene Harden in den Uthlanden und den Marschen. Sie waren nicht dem Jyske Lov unterstellt. Sie lebten nach ihrem eigenen friesischen Recht. Das die Edomsharde eine sowohl bedeutende als auch durchaus wohlhabende Harde war, zeigt unter anderem das sogenannte Erdbuch des dänischen Königs Waldemar II. aus dem Jahre 1231. Die Edomsharde gehörte zu seinen wichtigsten Steuerzahlern. Denn sie alleine brachten stolze 20 Prozent der gesamten Abgaben Nordfrieslands auf. Diese Abgaben waren an ihren Umsatz gebunden. Also die Wirtschaftskraft der Edomsharde für diese Zeit war und ist nicht zu unterschätzen.

 

Handel in der Edomsharde/ Rungholt

Die Bevölkerung in Rungholt handelte wohl vornehmlich mit Salz. Weitere Produkte waren Vieh, Bernstein, aber vermutlich auch Tierprodukte wie Milch, Wolle, Käse usw. und Getreide.  Verschiedene Urkunden belegen die Edomsharde und Rungholt als ihr Hauptort als Handels"zentrum". Alle diese Urkunden tragen das Siegel der Edomsharde. Dabei ist auffällig, dass nach 1362 ein neues Siegel seinen Einzug fand. Vermutlich ging das ältere in der Sturmflut verloren. Das sich die Dinge entscheidend veränderten zeigt unter anderem eine Urkunde aus dem Jahre 1400. Hier wird der neue Weg in den Hafen beschrieben. Der Ort des Hafens, sowie die Zufahrt hatten sich mit der Sturmflut so verändert, dass die Seeleute neu informiert werden mussten, wo sie ihr Schiff hinlenken sollten. Gleichzeitig sichern sie den Kaufleuten aus Bremen sicheres Geleit im Handelsverkehr zu.

 

Die rathleute und gemeinen Bonden der Edomsharde versprechen den Bremischen Kaufleuten, welche zu ihnen kommen sicheres Geleit. - 15. Juli 1400

Wytlyk zy al den ghenen, de dessen bref zen edder horen lezen, dat wy tatlude unde wy meyne bunden an Edumsherde gheven vrede unde leyde al den koplude van Bremen, tu uns tu komen an unze herde, unde neyn man eme tu schadene, alzo verne alze ere leyde sulven nycht eyn breken. Wente in dat Hever dep schol gy yn leghen, wente dar zund achte bude alle vol zoldes, valete. Unde ik Acghe Autzone leyde ju ok an unze land tu komen fry tu unde af van mynes heren des herthyghem weghen. Tu ener bewyzene, dat dyt war is, des hebbe wy unzes herdes ynghezeghel ghevuyghet vor dessen bref. Datum anno Domini 1400 die divicionis apostolorum.

Dies zeigt wie mächtig die Edomsharde zu dieser Zeit war. Nur wenige Jahre nach der schrecklichen Sturmflut und in einer Zeit voller kriegerischen Auseinandersetzung können sie den Kaufleuten Sicherheit zu gestehen. Weitere Urkunden mit dem alten Siegel sichern weiteren Kaufleuten sicheres Geleit, Frieden zu. Im Jahre 1261 schlossen die Friesen drei Jahre Frieden mit Hamburg, 1284 sichert Herzog Waldemar IV. sicheres Geleit zu. Vom 13. Januar 1355 geht ein Brief an den Graf Ludwig III. in Flandern in dem es ebenfalls um die ungestörten  Handelswege geht. Sogar eine Neutralitätserklärung gaben die Bewohner der Edomsharde ab, als sie im Januar 1358 schworen, die Grafen Heinrich II. und Adolf VII. bei ihren kriegerischen Angriffen auf weitere Harden nicht zu behindern. Den Mut, Weisheit, Vernunft und Macht der Edomsharde wird in diesem Schwur deutlich. Die Bewohner sichern sich lieber den Frieden mit den Grafen und damit die Handelsbeziehungen als zu ihren konkreten Nachbarn. Besonders interessant erscheint eine Urkunde vom 19. Juni 1361. In dieser Urkunde gewähren die Ratsmänner allen Einwohnern Hamburgs Handelssicherheit bis zum 01. Mai 1362. Sie ist die letzte bekannte Urkunde aus der Edomsharde vor der Flutkatastrophe. Die fehlende Unterschriften und der fehlende Ortsname auf diesem Dokuments lassen nur eine Deutung zu. Die Edomsharde und Rungholt waren so bekannt, dass ein Hinweis auf den Hardesthing, sowie das Siegel genügte um dieses Dokument als gültig anzusehen.

 

mit wem trieben die rungholter handel?

Importierte Waren, die im Rungholtwatt gefunden wurden zeigen folgendes Bild:

Am interessantesten scheint die spanisch-maurische Lüsterkeramik. Sie stammen einwandfrei aus dem spanisch-maurischen Kulturkreis. Sie sind sowohl innen als auch außen dunkel glasiert, sie besitzen arabische Schriftzeichen und die Hände der Fatima, die den Besitzer dieser Keramiken schützen sollen. Auf einem der Krüge wurde sogar ein Ort verzeichnet "Malaga". Die Fundorte im Watt lagen so, dass sie aus einer Zeit spätestens aus der Mitte des 14. Jhdts. stammen. Ob sie mit diesen entfernten Orten wirklich Handel betrieben haben, oder ob es sich bei diesen Fundstücken um Souvenirs handelte kann man heute leider nicht mehr feststellen. Kontakte haben aber sicherlich bestanden.  

Die Stadt Rungholt

Rungholt war also der Hauptort für die Edomsharde. dafür sprechen folgende Gründe:

1. Rungholt gilt als weit ausgedehnte Marschsiedlung

2. Der Zusatz "Flecken", spricht ebenfalls für die Größe

3. In dem sogenannten "Registrum capituli Slesvicensis" wird Rungholt mit einer Kirche "cum uno collegio" geführt

 

Bei der Kirche "cum uno collegio" handelt es sich um eine sogenannte Kollegiatskirche. Dies bezeichnet eine Kirche mit einem angeschlossenen Kapitel, also einem Zusammenschluss von Klerikern. Diese lebten zusammen mit gemeinsamen Lebensregeln. Das Vorhandensein eines solchen klerikalen Zusammenschlusses zeigt die Bedeutung Rungholts und ist ein Hinweis auf die Besiedlungsdichte dieses Fleckens.  

Über die Einwohnerzahlen Rungholts existieren unterschiedliche Angaben. Sie schwanken von 10.000  über 7.000 zu 500. die Wahrheit wird sicherlich irgendwo dazwischen liegen. Andreas Busch, der große Rungholtforscher schätzte die Zahl der Rungholter auf ca. 1000. Er war ausgegangenen von der Anzahl der Brunnen, die er gefunden hatte. Neuere Brunnenfunde hat er bei dieser Schätzung allerdings nicht mehr berücksichtigt. Zudem hatte kurz vor der Katastrophe die Pest in Nordfriesland gewütet. Also auch hier dürften viele Rungholter dieser Krankheit zum Opfer gefallen sein. Dennoch gibt es Hinweise auf eine höhere Einwohnerzahl. Prof. Dr. Jürgen Newig sagte bereits 2009, dass die Rungholtforschung wahrscheinlich diese Zahl nach oben korrigieren müsste. Gehen wir von der Größe Rungholts, den gefundenen Brunnen, evtl. Fremdarbeitern, der Kollegiatskirche und die Bewirtschaftungsmöglichkeiten des Landes, scheint Herr Newig recht gehabt zu haben. Wir hoffen im Laufe des Ausstellungsprojektes dazu genauere Angaben machen zu können.  

Die Menschen in Rungholt

Über die Menschen, die in Rungholt lebten können wir aufgrund der schlechten Schriftenlage und der großen Zerstörung wenig sagen. Dennoch gibt es ein paar Anhaltspunkte. Es wurden wenige menschliche Überreste gefunden. Diese an völlig unterschiedlichen Stellen des Rungholtgebiets. Einer der Schädel wurde bereits untersucht. Es handelt sich hierbei um einen Mann der im Alter zwischen 30-35 Jahren verstorben bist. Waum und Wann ist leider noch nicht bekannt. Seine Zähne zeigen deutlich Stressmerkmale, die evtl. auf Hungerperioden o.ä. hindeuten könnten. Es ist uns vom Museumsverband ein großes Anliegen einigen der Überreste wieder ein Stückchen Identität geben zu können. Deshalb sind wir dankbar, das wir jemanden gefunden haben, der die Schädel einer aDNA Analyse unterziehen wird. Danach kommen wir dem historischen Menschen näher und verstehen vielleicht noch mehr über diese menschliche Katastrophe. Eine Weichteilrekonstruktion ist ein weiterer Traum unseres Ausstellungsteams, ob es dazu kommen wird, steht noch in den Sternen. Alle aktuellen Forschungsergebnisse dazu werden hier veröffentlich werden.

Was aßen die Rungholter?

Angebrannte Essensreste in aufgefundenen Krugscherben zeigen, dass die pflanzliche Hauptnahrung der Rungholter Dinkel und Gerste war. Daneben wurden auch Pferdebohnen (Dicke Bohnen) gegessen. Knochenfunde legen eine reiche Speisekarte der Rungholter nahe. Es wurden Knochen von Rindern, Schafen, Schweinen, Ziegen, Hühner, Pferde und Gänse gefunden. Die Knochen waren häufig aufgeschlagen oder -gebrochen worden. Vermutlich war das Knochenmark wichtig für die Ernährung. Einige der Knochen zeigen deutlich Hundebisse und waren angenagt. Ca. 2% der aufgefundenen Knochen 1986 gehörten zu den Haushunden der Rungholter. Auch Fische wurden wohl verzehrt. Waren aber nicht die Hauptnahrung der Bewohner der Edomsharde. Der Nordstrander Pastor Johannes Petreus erzählte wie es um die Nahrungsaufnahme im 16. Jhr. in Nordstrand bestellt war. Er beschriebt den Reichtum und die ganzen Leckereien: Von gesalzenen, gekochten und gebratenen Gänsen, Speck, geräuchertes Ochsen- und Lammfleisch, Käse, Eier und herrliche Milchspeisen.  Zu allen Speisen gab es goldgelbe Butter und selbst die Armen lebten wie die Herren. Die Lebensbedingungen in Nordstrand waren denen in Rungholt sehr ähnlich. Auch das Fischgräten und Muscheln nur selten auf dem Speiseplan erschienen sprach für den Reichtum der Harde, galt Fisch doch für eine sehr lange Zeit als das Essen der armen Leute. Gleichzeitig scheinen aber die Zahnbefunde unseres Rungholters im Widerspruch zu diesem reichgedeckten Tisch zu stehen. Weitere Untersuchungen werden hoffentlich diese Rätsel lösen können.

Nur ein ausgeklügeltes Entwässerungssystem machte die Viehzucht und den Ackerbau möglich.