Obwohl die 2. Grote Mandränke oder Buchardiflut im Jahre 1634 genaustens dokumentiert wurde, finden sich kaum Zeugnisse der Ereignisse im Januar 1362. Die Ahnungen, die Vorstellungen und das
Geheimnis über diese versunkene Stadt inspirierte schon früh verschiedene Autoren und beflügelte die Fantasie. So nimmt es nicht wunder, dass schon früh die ersten Legenden und Sagen
rund um Rungholt entstanden.
In der Sage um Rungholt stehen folgende Motive im Vordergrund, Hybris, Blasphemie und Hostienfrevel, diese werden dann von Gott bestraft. Die erste Sage aus Friesland die diese Motive behandelt stammt aus einer Zeit vor Rungholt. Ähnlichkeiten mit der von Heimreich sind aber schon deutlich erkennbar. Um 1220 schreibt Caesarius von Heisterbach (geb. 1180/ gest. 1240):
De plaga Frisiae ob iniuriam Dominici corporis
Parvo post haec emerso tempore, anno videlicet gratiae millesimo ducentesimo decimo octavo, mare in partibus Frisiae terminos suos egrediens, multarum provinciarum terras occupavit, villas
delevit, ecclesias lapideas deiecit, tantam hominum extinguens multitudinem, ut summa centum millia transcenderet. Ita exaltati sunt fluctus eius, ut turrium altitudines operire viderentur, et
procella procellam impellens, generale diluvium terris minaretur. Et sicut dictum fuit Abbati nostro, cum eodem anno visitationis gratia Frisiam intrasset, quod fluctus furentes etiam usque
Coloniam pervenissent, si non is qui eos excitaverat, Genitricis suae, ut postea dicetur, precibus compescuisset. NOVICIUS: Nosti causam tantae plagae? MONACHUS: Novi. Friso quidam arte pugil in
eadem provincia exstitit, qui quotiens de taberna ebrius rediit, totiens uxorem verberibus et plagis satis tribulavit. Tempore quodam timore mariti infirmitatem simulans, ne simulatio eadem
posset notari, corpus Domini sibi dari postulavit. Venienti sacerdoti pugil cum scypho cervisiae ebrius occurrens, bibere eum monuit. Et cum ille responderet: Corpus Domini porto, non modo bibam;
iratus Friso cum scypho pixidem percussit, et omnes hostias de illa excussit, ita ut per pavimentum dispergerentur. Matronae vero, quae consolationis gratia convenerant, super singulas hostias
tanquam stellas radiantes viderunt. Quas sacerdos gemens ac dolens in pixidem recollegit et abiit. Friso vero a Decano provinciae citatus, excommunicatus est, sed non curavit. Qui tandem ad hoc
compulsus est, ut cruce pro tanto sacrilegio signatus cum iam dicto sacerdote etiam cruce signato veniret Romam. Cui dominus Honorius Papa culpam confitenti pro poenitentia iniunxit, ut mare
transiret, ibique tribus annis in armis Christo serviret. Quid plura? Mare transierunt ambo, et ante Damiatam mortui sunt ambo. Quibus defunctis, cum anno eodem Dominus provinciam terribiliter,
ut supra dictum est, plagasset, et causa plagae populum lateret, matronae cuidam valde religiosae, Domino ieiuniis, orationibus, vigiliis et elecmosynis servienti, materterae videlicet domini
Witboldi Abbatis sancti Bernardi, beata Dei Genitrix, lacrimis eius mota, populique miserta, apparens sic ait: Propter iniuriam filii mei in sacramentum corporis eius factam, submersa est Frisia,
et adhuc amplius plagabitur, si condigna poenitentia non fuerit subsecuta. Ex quibus verbis colligitur, quod non solum pugilis, sed communibus populi peccatis exigentibus, hoc evenerit. Moxque
adiecit mater misericordiae: Leva oculos tuos contra mare. Quod cum fecisset, contemplata est pixidem a pugile percussam, in summitate fluctuum natantem. Quae cum in tantum approximasset, ut
posset cognosci, ait: Ecce corpus filii mei. In loco enim ubi dispersum est, aedificanda et ecclesia, et debet ei tanta exhiberi reverentia, quomodo sepulchro Dominico. Hoc etiam noveris, quod
ambo rnortui sunt, pugil scilicet et sacerdos. Sed pugil, eo quod sine contritione obierit, sepultus est in inferno; sacerdos vero adhuc tenetur in purgatorio. Retulit tamen nobis Theodericus
Prior de Yesse, eundem pugilem, quantum ad signa exteriora, cum proficisceretur, satis magnam habuisse contritionem; sed credendum est beatae Dei Genitrici. Hac visione cognita, dominus
Theodericus Episcopus Monasteriensis, ad cuius Dioecesim maxima pars Frisiae pertinet, missis litteris suis per Ydidam sancti Bernardi cellerarium, sicut nobis ipse retulit, sollemnem
provincialibus poenitentiam iniunxit. Quod autem insufficiens fuerit, ex hoc probatur, quod anno praeterito denuo punita est Frisia, multis millibus per aquarum inundationes submersis. Matrona
quaedam praedives ex praedicti pugilis domo ecclesiam aedificavit. Ex his quae dicta sunt, considerare potes, quam sollicita sit circa hominum salutem beata Virgo Maria, cui tanta cura exstitit
de poenitentia. Quod vero tribulatorum sit consolatrix, sequentia declarabunt.
Übersetzung:
Über das Verderben Frieslands wegen der Untat am Leibe des Herrn
Kurze Zeit danach, nämlich im Jahre der Gnade 1218, ist das Meer in Teilen Frieslands über seine Ufer getreten und hat die
Fläche vieler Landschaften überschwemmt, Ortschaften verwüstet, steinerne Kirchen umgeworfen und eine solche Menge an Menschen umgebracht, dass die Gesamtzahl hunderttausend überstieg. Die Fluten
sind so gestiegen, dass sie alles offensichtlich in Turmeshöhe bedeckte und mit einer völligen Überflutung der Lande drohte. Und so hat man unserem Abt gesagt, als er in demselben Jahr zu einer
Visitation nach Friesland kam, dass die wilden Fluten noch bis nach Köln kämen, wenn nicht der, der sie hervorgerufen hätte, seine Erzeugerin so, wie ihm noch gesagt würde, mit Gebeten
beschwichtigen würde. Novize: Kennst du die Ursache des Unheils? Mönch: Ja. Ein boxwütiger Friese ist in jenem Land aufgetreten, der jedesmal, wenn er besoffen nach dem Kneipenbesuch nach Hause
kam, seine Frau mit Schlägen und weiteren Übergriffen reichlich traktierte. Diese hat sich einmal aus Angst vor ihrem Mann krank gestellt und, damit man die Verstellung nicht bemerken konnte,
gebeten, dass ihr der Leib des Herrn gereicht würde. Als der Priester nahte, kam der Boxertyp ihm mit einem Bierhumpen entgegen, und bedrängte ihn, auch zu saufen. Als der dann antwortete: Ich
trage den Leib des Herrn, ich trinke nicht, hat der Friese zornentbrannt mit dem Humpen die Hostienkapsel zerschlagen und die Hostien dabei so heraus geschleudert, dass sie überall auf dem Boden
lagen. Die älteren Frauen aber, die um Trost zu spenden dahin gekommen waren, sahen über jeder Hostie etwas wie funkende Sterne. Der Priester bejammerte die Hostien, sammelte sie wieder in die
Kapsel und ging weg. Der Friese wurde vor den Amtmann der Landschaft geladen und exkommuniziert, kümmerte sich aber nicht darum. Doch schließlich fühlte er sich veranlasst, mit dem Kreuzeszeichen
wegen eines so ruchlosen Sakrilegs zusammen mit besagtem Priester, der auch das Kreuzeszeichen trug, nach Rom zu wallfahren. Als er vor dem Papst Honorius seine Schuld bekannte, trug der ihm als
Strafe auf, er solle das Meer überqueren und drei Jahre im Kreuzfahrerheer dienen. Was weiter? Beide fuhren über das Meer, sind aber noch vor Dalmatien gestorben.
Die erste bekannte Rungholtsage stammt aus der Feder des Nortorfer Pastors Samuel Meigerius (geb. 1532/ gest. 1610). Sie wurde bereits 1587 geschrieben und stellt vermutlich
die Urfassung aller Rungholtsagen dar. Die oben genannten Motive werden in dieser Form das erste mal in Verbindung mit der großen Sturmflut gebracht.
Will auerst eine mercklike Historye hyrher setten / wo Godt der HEre vorachtinge synes Wordes vnde syner Dener gestraffet / de
sick vast vmme den anuanck der gelutterden Euangeleschen warheit hyr im Lande an der Seekante hefft thogedragen. Idt hefft ein ryck Drunckenbolte vnd auermödich Man einen Prediger yegen den
inuallenden auendt halen laten / dat he ehme scholde einen krancken im huse berichten / vnd eer de Prediger kümpt / leth he eine Söge int Bedde legen /darhenne wyset he den Prediger / do de quam.
Nu geit he hen/ meint ydt sy ein krancke dar / richtet tho / vnde do he thosüth / licht eine Söge im Bedde /geit mit vngedult wech / beuelet den schimp / vnde bewysede auermodt / dem yennen/dem
he anginck. Alse Moises ock tho synen halstarrigen Joden sprack: Wat syn wy? Juwe murrent ys nicht wedder vns / sunder wedder den HEren. Also ys hyr ock gescheen / Wenthe he weth sick
meisterliken an synen vyenden vnde vorachteren tho wrekende / vnd js nicht allene düsse Spötter vnd vorachter Gödtlikes Testamentes / sunder ein gantz klein ort Landes dorch de Floth vndergangen
/ vnde hefft de schüldige mit den vnschüldigen herholden möthen. Wowol thogelöuende / dewyle an dem orde vülle des Brodes vn aller dinge auerfloth gewesen / welckes denn eine anreitzinge tho der
vorachtinge Gades vnd synes heilwerdigen Wordes ys / ydt werden des spotters gelike vele in dem Landeken gewesen syn / Noch hüden in düssen dach kan men seen de rudera vnde warteken der Kercken
vnde Hoffstede / dar desüluigen auermödigen lüde gewanet hebben / daruth denn de Töuerschen vnd alle vorachter des hilligen
Ministerij seen mögen / wo swär ydt sy / yegen den Prekel vththoslande.
Übersetzung:
Ich will eine bemerkenswerte
Geschichte hierher setzen, in der Gott der Herr die Verächter seines Wortes und seiner Diener gestraft hat, die sich etwa zu Beginn der Verbreitung der lutherischen evangelischen Wahrheit im Land
an der Küste zugetragen hat. Ein reicher Trunkenbold und übermütiger Mann hat zur Abenddämmerung einen Prediger holen lassen, um einem Kranken im Hause beizustehen. Bevor der Prediger ankam, ließ
er eine Sau ins Bett legen und zeigte sie dem Prediger, als er kam. Der ging hin, glaubte, es sei ein Kranker da, stellte seine Gerätschaften bereit, und als er hinsieht, liegt da eine Sau im
Bett. Nun ging er ungeduldig weg, übertrug die Schande und den Beweis des Übermuts auf jenen, den es anging. So wie Mose zu seinen halsstarrigen Juden sprach: Was sind wir? Ihr murrt nicht wider
uns, sondern wider den Herrn. So ist es auch hier geschehen. Der Prediger wusste sich meisterhaft an seinen Feinden und Verächtern zu rächen und es sind nicht allein diese Spötter des göttlichen
Testaments, sondern ein ganzes Stück Land durch eine Flut untergegangen, und Schuldige wie Unschuldige mussten dafür herhalten. An diesem Ort, wo es Brot in Fülle und Überfluss an allen Dingen
gegeben habe, was immer ein Anreiz zur Verachtung Gottes und seines heiligen Wortes ist, hat es neben Gläubigen auch
gleichviele Spötter gegeben. Noch heute kann man die Ruinen der Kirchen und die Vorländer der Hofstätten sehen, wo dieselben übermütigen Leute gewohnt haben, woraus die
Zauberinnen und alle Verächter der heiligen Herrschaft erkennen mögen: Jede Sünde hat ihren eigenen Stachel.
In der Annales Strandenses beschreibt ein unbekannter Autor (um 1600) die Geschehnisse um Rungholt so:
Anno 1216. Ist auermahls So eine große Fluth gewesen, dat alle spade Lande ingebracken, vnd woll 10. Tausent Man in de dre
Lande Eyderstette, Dithmarschen vnd Nordtstrandt Verdrenket. Anno 1300. Sint im Strande vnder gegangen 28. Carspeln vnd ist dohmahls ock Rungholt versuncken. Dar sint die Lude so Gottloß gewesen:
dat se groth Auerthat vnd Mothwillen gedreuen dat vp einmall etliche geste bey einander gesethen, vnd mit Tuchten zureden Ein Söge druncken gemacket, vnd tho Bedde gelecht, vnd den Prediger Baden
gesandt, dat dar eine krancke Minsche wehre, de begehrde dat Sacramente, Do de prediger darhen quam vnd solches sach, wolde he dem Schwine dat Sacramente nicht geuen, sunder ging daruon, Alse he
auerst tho Huß gingk, Sethen dar etliche in einem Kroge, de sprecken, Sue dar kompt vnse prediger, wo he nicht tho vns in kahmen will, so wille wie ehme in de Schlöthe stothen, Gingen darup
henuth, Beden vnd Nodigen ehm henin thokahmen, frageden ehn Freundtlich, wor he gewesen wehre, vnd do Idt de Prediger ehnen verthellede, frageden se ehme offte he dat Sacramente bey sich hadde,
welches alse he idt beiagede, Beden se ehme doch freundtlich, he muchte Idt ehnen sehen Lathen, der prester dede den Schrin vp, vnd tögede ehn de Ablaten: darup frageden se ehn, offte Gott darin
wehre, vnd sprecken, Iß Gott darinn, so muth he mit Vns drincken, vnd gothen den Nasch offte Schrin darin de Ablathen wehren voll Beer, Do badt de prester vmme gades willen, se scholden ehme den
Nasch wedder werden Lathen, Auerst se frageden offt men dohn scholde, wente men Gott gelauet, de Prediger gedachte bey sich suluest woll, dat se nicht veell gudes gelauet hedden, darumb schwech he stille vnd gingk daruon. Darna auerst alse he tho Huß kompt, geith he in de Kercke vnd schluth de dohr
achter ehm tho, vnd bedede tho Gott dem Allmechtigen, he wolde doch in diße Nodt sehen, wat geschach deßuluigen folgende Nacht Ist eine Stemme tho dem Prediger gekahmen, vnd gesecht, Papæ stehe
vp vnd gahe vth dißem Lande, wente Gott will dith Landt verderuen Lathen, deßuluigen dages darnah ist de prediger daruon gegangen
Der Oldesloer Rektor Max Paysen hatte seine eigene Vorstellung rund um Rungholt. Den Gebrüdern
Heimreich war diese Version nicht bekannt. Bereits 1650 schreib er seine Version der Rungholtgeschichte.
Ein kleines Geschichtchen aus einer Nordstrander Handschrift friesischer Zunge. Rungholt war ein kleines Städtchen auf dem Strand bei Pellworm, dort wo jetzt Südfall sich befindet. In
diesem Ort verlangten einige betrunkene Bauern, daß der Pastor nach einer öffentlichen Schankstätte herbeigeholt würde, damit er einem Kranken den letzten Hilfs- und Liebesdienst leiste. Der Wirt
erinnerte jene daran, daß er eine gewaltige Sau habe; man könne diese durch ein Quantum Bier bis zur Trunkenheit wie einen Menschen voll machen, und sie werde durch ihr Grunzen die Stimme eines
Kranken zum Ausdruck bringen, wenn sie auf ein Lager gebettet wäre. Da lachten die Bösewichter dazu und bildeten sich frevelnden Sinnes ein, daß, wenn sie die Frömmigkeit des Priesters und Gott
in dieser Weise verspotten könnten, sie den Ruhm einer großen Tat sich bei ihren Mitbürgern erworben haben würden. Der Priester, der da meinte, daß nichts weiter geschehen würde, wenn er auch den
Mutwillen sowie die Rohheit und den äußersten Frevelsinn seiner Pfarrkinder wohl kannte, eilte mit dem heiligen Kelch am späten Abend herbei. Die Bauern mahnten ihn, daß er die heilige Handlung
begänne und führten den Priester zu dem Lager, auf dem die Sau, von Bier eingeschläfert, grunzte, und suchten ihm zu bedeuten, dort seien die Obliegenheiten seines Amtes bei dem Kranken zu erledigen. Da der Mann das Tier erblickte, schauderte er zurück; aber als er nach den heftigsten Scheltworten gegenüber den
Zechbrüdern fortgehen wollte, rissen ihn die Teuflischen zur Ofenbank und hießen ihn, er mochte nun wollen oder nicht, mit ihnen zechen. Als er sich weigerte und alle Heiligen zu Hilfe rief,
versetzten sie ihm Ohrfeigen, entrissen dem Priester den heiligen Kelch, warfen ihn auf den Boden und richteten, nachdem sie ihn wieder aufgesammelt hatten, ein frevelhaftes Saufgelage mit ihm
an. Endlich entließen sie den Priester mitten in der Nacht, nachdem sie ihn mit ihren Fäusten zerbläut hatten, der nun über den Frevel seiner Pfarrkinder empört und eingedenk des ihm zugefügten
Unrechts, da er an menschlicher Hilfe verzweifelte, unverzüglich die göttliche anrief. Und nicht blieb auf seine Bitten in dem hinter ihm wieder verschlossenen Gotteshause die rasche Strafe
Gottes aus. Da ihn nämlich auf sein Flehen mit drei Jungfrauen in tiefer Nacht die Stimme traf: ,Weichet sofort mit den Eurigen auf die Hügel, denn bald wird Rungholt
untergehen'. Daher wanderten jene mit den Ihrigen von dort fort, wo jetzt
Südfall liegt. Rungholt ging nun in dieser stürmischen Nacht mitsamt den umliegenden Kirchspielen durch eine Ueberschwemmung zugrunde. Keineswegs wurde es, wie die Menge bei uns erzählt, weil
nämlich bisweilen Türme gesehen, ja sogar auch Glocken von den Vorübersegelnden gehört werden, infolge Aufreißens des Erdbodens verschlungen, sondern daß Rungholt vielmehr durch eine
Ueberschwemmung verschüttet wurde, bezeugen die vielen Spuren alter, wenn auch zumeist durch Schlamm überdeckter Gräben bei zurücktretender Meeresflut, die ich selbst, weil diese Geschichte bei
uns sehr verbreitet ist, mit meinen eigenen Augen habe wahrnehmen wollen, und zwar im Jahre 1635.
Eine weitere Fassung kommt von dem Pastor Henricus Heimreich. Er ist der einzige der Chronisten der die Drohung der Bauern gegenüber dem Priester genauer beschreibt. Seine Version stammt aus dem Jahre 1655.
[...] auch das Städtlein Rungholt, deßen nahme bei den Alten nicht allein sehr berühmt
gewesen, sondern auch annoch bei dem gemeinen Man nicht unbekant ist. Und erzehlet man viell wunderliches dinges von deßen verwüstung und untergang, so von ihrem verübten muthwillen und
gotlosigkeit sei hergerühret. den wie in demselben auff eine zeit etzliche muthwillige gäste beisammen gewesen, da haben sie eine sawe truncken gemacht, und auff ein bett geleget, darauff sie
ihren prediger haben laßen ersuchen, er möchte kommen, und einem krancken das heilige nachtmahl reichen, auch sich untereinander verschworen und verbunden, das wen er würde vorhanden sein, und
ihnen nicht würde wilfertigen, so wolten sie ihm Quabeldrancken – welches nach alter Fresischer art so viel hetset, als in die grube stoßen, und im drittentheil des Strandiger Land Rechts artic:
35 bei halsstraffe ist verbothen [...]- wie nun der prediger gekommen, und das hl. sacrament nicht so greulich hat wollen misbrauchen, da haben sie untereinander gesprochen, ob man nicht solte
halten, was man Gott bei Eidespflicht hätte gelobet? Und als demnach der prediger leitlich gemercket, das sie nichts gutes mit ihm in sin hatten, als hette er sich stilschweigends davon gemacht,
und wie er wiederumb hat wollen heimgehen, und 2 gotlose bosewichte, in einem kruge sitzende, ihn gesehen, da haben sie sich beredet, das so er nicht zu ihnen herein gehen würde, so wolten sie
ihn auff Bote Bote – das ist unehrlich die haut voll – schlagen, welches im 3. Theil des Landrechts artic: 34, mit verweisung aus den 7 harden, und beraubung der ehren, verboten – darauff sie
hinausgegangen, haben den prediger mit gewalt ins hauß gezogen, und ihn gefraget, wo er gewesen? Und wie er es ihnen hat geklaget, wie man mit Gott und ihm habe geschimpfet, haben sie gefragen,
ob er das sacrament bei sich hette? und wie er ja geantwortet, haben sie ihn freundlich gebeten, daß er ihnen dasselbige wolte zeigen. darauff er ihnen die buchse hat gegeben, darin das sacrament
gewesen, welches sie mit spottischen und gotteslästerlichen worten haben zu sich genommen, und gesprochen: Ist Gott darin, so muß er auch mit Uns sauffen, und haben die buchse voll bieres
gegoßen: der pastor aber habe auff sein freundlich anhalten die buchse wieder bekommen, sei in die kirche gegangen, habe die thüre hinter sich verschloßen, und Gott den Herren angerufen, das er
diese gotlose leute nach seiner gerechtigkeit wolle strafen: darauff er in der nechstfolgenden nacht diese stimme habe gehöret: Stehe auff und gehe aus diesem lande, den Gott wird dies landt
verderben. Worauff der pastor auffgestanden und davon gegangen. Und ist alsbald darauff ein ungestümer wind erfolget, das das gantze land Rungholt - oder wie andere melden, gantz 7 kirchspelen,
worunter Rungholt das fürnemste gewesen - im waßer sei vergangen, und niemand davon gekommen, ohn gemeldter pastor und 4 jungfrawen, eines frommen Mannes kinder daselbst, welche des abents zuvor
von Rungholt aus auff Bupschlutt sein gegangen, umb daselbst dem Gottesdienst bei zu wohnen, von welchen zu Bupschlott das geschlecht Bakke Boiesens und seiner Erben sollten entsproßen sein. Und
stehen die alten abergleubischen leute in dem Wahn, das dieses Rungholt noch einmahl wieder werde auffstehn, und für dem Jungsten tage zu vorigem stande werde kommen. Melden auch, das diese Stadt
mit allen hausern gantz in der erden stehe, und deßen thurm oftermahls bei klarem wetter sich herfor thue und klar sehen
laße, und das auch von den vorübergehenden der klockenklang und dergleichen gehöret werde. Weil aber dieses entweder ein alter Weibertraum zu sein scheinet, oder auch eine zur bestätigung des
aberglaubens weiland ertichtete fabel ist, welcher so viel weniger zu getrawen, weil ein ebenmäßiges fast von der durch ergiesung des Ost-sees in pommern ertrunckenen Stadt Julin wird
gemeldet.
Der jüngere Bruder von Henricus Heimreich Anton Heimreich (geb. 1626/ gest. 1685) benutzte Auszüge aus der Geschichte seines Bruders und schrieb seine eigene Fassung zur
Rungholtsaga. Anton Heimreich war evangelisch-lutherischer Pfarrer auf Nordstrand. Bekannt wurde er unter anderem durch seine Nordfriesischen Chroniken. 1668 beschrieb er die Geschehnisse
auf Rungholt so:
A. C. 1300 am Tage Marcelli Pontificis (ist der 16. Jan.) hat sich die Westsee durch Sturmwinde erhoben, und das Wasser vier Ellen über die höchsten Deiche geführet, Städte und Dörfer umgekehret, und den Flecken Rungholt neben sieben Kirchspielkirchen in Edomsharde verwüstet, andere mehr anjetzo zu geschweigen, und seyn dazumal 7600 Menschen ertrunken, und 21 Wehlen im Nordstrande eingerissen. […] Unter allen diesen ertrunkenen Oertern ist insonderheit benamet der Flecken Rungholt, von dessen Verwüstung und Untergang, wie auch künftigen Wohlstande der gemeine Mann beides in vorigen und auch noch in jetzigen Zeiten viel Wunderdinges erzählet. Inmaßen man berichtet, daß auf eine Zeit etliche muthwillige Gäste eine Sau, mit Urlaub, sollen trunken gemachet und zu Bette geleget haben, und darauf den Prediger lassen ersuchen, er möchte ihrem Kranken das Abendmahl reichen, und sich dabey verschworen, daß, wenn er bey seiner Ankunft ihren Willen nicht würde erfüllen, sie ihn in den Graben stoßen wollten. Wie aber der Prediger das H. Sacrament nicht so gräulich wollen mißbrauchen, und sie sich unter einander besprochen: ob man nicht sollte halten, was man geschworen? Und der Prediger daraus leichtlich gemerket, daß sie nichts Gutes mit ihm im Sinne hätten, hat er sich stillschweigens davon gemacht. Indem er aber wieder heim gehen wollen, und ihn zwo gottlose Buben, so im Kruge gesessen, gesehen, haben sie sich beredet, daß so er nicht zu ihnen herein gehen würde, sie ihm die Haut wollten voll schlagen. Seyn darauf zu ihm hinaus gegangen, haben ihn mit Gewalt ins Haus gezogen, und gefraget wo er gewesen? Und wie ers ihnen geklaget, wie man mit Gott und ihm habe geschimpfet, haben sie ihn gefraget, ob er das H. Sacrament bey sich hätte? und ihn gebeten, daß er ihnen dasselbe möchte zeigen. Darauf er ihnen die Büchse gegeben, darin das Sacrament gewesen, welche sie voll Biers gegossen, und gotteslästerlich gesprochen, daß so Gott darinnen sey, so müsse er auch mit ihnen saufen, und wie der Prediger auf sein freundliches Anhalten die Büchse wieder bekommen, sey er damit zur Kirche gegangen, und habe Gott angerufen, daß er diese gottlosen Leute wolle strafen. Darauf er in der folgenden Nacht sey gewarnet worden, daß er aus dem Lande, so Gott verderben wollte, sollte gehen, sey auch aufgestanden und davongegangen, und habe sich also bald ein ungestümer Wind und hohes Wasser erhoben, dadurch das ganze Land Rungholt (oder wie andere melden, ganze sieben Kirchspiele, worunter Rungholt das vornehmste gewesen) sey untergegangen, und niemand davon gekommen, als gemeldeter Prediger und zwo (oder, wie andere setzen, seine Magd und drei) Jungfrauen, so den Abend zuvor von Rungholt aus auf Bopschlut zur Kirchmeß seyn gegangen, von welchen Backe Boisens Geschlecht zu Bopschlut soll entsprossen seyn, dessen Nachkommen theils noch jetziger Zeit in diesem Lande seyn vorhanden und verhält sich ihre Genealogie folgendernmaßen: [...]. Sonsten stehen die alten abergläubischen Leute im Wahn, daß dieses Rungholt noch einmal wieder werde aufstehen, und vor dem jüngsten Tage zu vorigem Stande kommen, melden auch, daß diese Stadt mit allen Häusern ganz in der Erde stehe, und dessen Thurm und Mühlen (desgleichen man auch von Kirchspiel Alver oder Kalfer an der Süderog und andern untergesunkenen Oertern und Städten berichtet) sich öftermals bey hellem Wetter hervor thue, und klar sehen lasse, und daß auch von den vorüberfahrenden der Glockenklang und dergleichen noch jetzunder gehöret werde, doch wird dieses von andern entweder für einen alten Weibertraum oder auch für eine zur Bestätigung des Aberglaubens erdichtete Fabel gehalten. Und ist derselben Meinung der Wahrheit ähnlicher, welche erachten, daß dieser Flecken neben den umliegenden Kirchspielen durch eine hohe Fluth, nach Art dieser niedrigen Länder, sey überschwemmet, habe äußerste Noth gelitten, sey aus dem Deichbande geworfen, und also endlich zu salzen See geworden. [...] wie der Deichgraf in Risummohr nach verfertigtem Deiche den Spaten auf den Deich gesetzet, und vermessentlich gesaget: Trotz nun blanke Hans!
Der Lehrer und Chronist Christian Peter Hansen (geb. 1803/ gest. 1879) beschrieb die Sage um Rungholt in einem Kapitel " Sagen von Verwünschungen und sogenannten Wundern“ so:
Von dem Untergange des Fleckens Rungholt auf Nordstrand. In Rungholt auf der Insel Nordstrand wohnten weiland reiche Leute, sie bauten Deiche und sprachen mit Hohn auf diesen stehend: „Trotz nu blanke Hans!“ – Ihr Reichthum verleitete sie zum Stolz und zum Saufen und Spielen. Eines Abends, nämlich am Weihnachtsabend (1300) saßen mehrere Bauern in einem Wirthshause zu trinken und zu spielen. Plötzlich kam es ihnen in den Kopf, eine Sau betrunken zu machen, in ein Bett zu bringen, ihr eine Schlafmütze aufzusetzen und dann hinzuschicken nach dem Prediger mit der Bitte, er müsse kommen und einem Kranken das Abendmahl geben. Dieses wurde ausgeführt. Der Prediger, kein Böses ahnend, kam, segnete das Brod und den Wein ein und fing an zu predigen. Jedoch, als er den Betrug merkte, hielt er inne; die Bauern aber hatten geschworen, ihn dazu zu zwingen, droheten daher ihn zu tödten, wenn er sich weigerte. Darauf rissen sie ihm den Kelch aus der Hand, gossen ihn voll Biers und sprachen, wenn Gott darinnen wäre, sollte er mit ihnen saufen. Der Prediger floh aber in die Kirche und betete zu Gott, daß er diese bösen Leute doch strafen wolle. Darauf ging er nebst seiner Magd nach Bopschlut, wohin auch zwei andere Mädchen schon an dem vorigen Tage gegangen waren. In derselben Nacht nun ereilte jene gottlosen Menschen die Strafe Gottes; denn das ganze Rungholt nebst sieben andern Dörfern ging durch eine Fluth, welche 4 Ellen über die höchsten Deiche der Insel stieg, unter. – Die vorübersegelnden Schiffer wähnen freilich noch oftmals den Glockenklang der versunkenen Kirche des Ortes tief unten im Meere zu hören; und eine Prophezeiung sagt, es werde das alte Rungholt dereinst wieder auferstehen; allein Rungholt, dieß neue Sodom, wird zur Warnung für alle Säufer, Spieler und Gotteslästerer im Meere wohl begraben bleiben bis zum jüngsten Tage...........
Alsbald ist er aufgestanden und in das nächste Karspel gegangen, und gleich darauf ist ein so erschrecklich Erdbeben und
gräulich Wetter erfolget, daß die obgedachten Länder ganz umgekommen, und versunken sind, auch nicht mehr als der Prediger und vier Jungfrauen, eines reichen Mannes Töchter zu Rungholt, die den
Tag zuvor nach Bupsluth zur Karkenmesse gegangen, davon gekommen sind. Von den Frauenspersonen ist noch heute zu Tage ein Geschlecht übrig, nämlich Banke Boisen und seine Erben zu
Bupsluth.
1845 schrieb der Wissenschaftler Karl Müllenhoff (geb. 1818/ gest. 1884) in seiner Publikation zu "Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg":
Rungholt
In Rungholt auf Nordstrand wohnten weiland reiche Leute; sie bauten große Deiche und wenn sie einmal darauf standen, sprachen sie: „Trotz nu, blanke Hans!“ –
Ihr Reichthum verleitete sie zu allerlei Uebermuth. Am Weihnachtsabend des Jahres 1300 machten in einem Wirthshause die Bauern eine Sau betrunken, setzten ihr eine Schlafmütze auf und legten sie ins Bett. Darauf ließen sie den Prediger ersuchen, er möchte ihrem Kranken das Abendmahl reichen und verschwuren sich dabei, daß wenn er ihren Willen nicht würde erfüllen, sie ihn in den Graben stoßen wollten. Wie aber der Prediger das heilige Sakrament nicht so gräulich wollte misbrauchen, besprachen sie sich unter einander ob man nicht halten sollte, was man geschworen. Als der Prediger daraus leichtlich merkte, daß sie nichts gutes mit ihm im Sinne hätten, machte er sich stillschweigends davon. Indem er aber wieder heim gehen wollte und ihn zween gottlose Buben, so im Kruge gesessen, sahen, beredeten sie sich, daß so er nicht zu ihnen hereingehen würde, sie ihm die Haut voll schlagen wollten. Sind darauf zu ihm hinausgegangen, haben ihn mit Gewalt ins Haus gezogen und gefragt, wo er gewesen. Und wie ers ihnen geklaget, wie man mit Gott und ihm geschimpfet habe, haben sie ihn gefragt, ob er das heilige Sakrament bei sich hätte, und ihn gebeten, daß er ihnen dasselbige zeigen möchte. Darauf hat er ihnen die Büchse gegeben, darin das Sakrament gewesen, welche sie voll Biers gegossen und gotteslästerlich gesprochen, daß so Gott darinnen sei, so müsse er auch mit ihnen saufen. Wie der Prediger auf sein freundliches Anhalten die Büchse wiederbekommen, ist er damit zur Kirche gegangen und hat Gott angerufen, daß er diese gottlosen Leute strafe. In der folgenden Nacht ward er gewarnet, daß er aus dem Lande, so Gott verderben wollte, gehen sollte; er stand auf und gieng davon. Und sogleich erhob sich ein ungestümer Wind und ein solches Wasser, daß es vier Ellen hoch über die Deiche stieg und das ganze Land Rungholt, der Flecken und sieben andre Kirchspiele dazu, untergieng, und niemand ist davon gekommen als der Prediger und zwo, oder wie andre setzen, seine Magd und drei Jungfrauen, die den Abend zuvor von Rungholt aus nach Bopschlut zur Kirchmeß gegangen waren, von welchen Bake Boisens Geschlecht auf Bopschlut entsprossen sein soll, dessen Nachkommen noch heute leben. Die Ulversbüller Kirche hat noch eine alte Kirchenthür von Rungholt.
Nun giebt es eine alte Prophezeiung, daß Rungholt vor dem jüngsten Tage wieder aufstehn und zu vorigem Stande kommen wird. Denn der Ort und das Land steht mit allen Häusern ganz am Grunde des Wassers und seine Thürme und Mühlen thun sich oft bei hellem Wetter hervor und sind klar zu sehen. Von Vorüberfahrenden wird Glockenklang und dergleichen gehört. – Imgleichen wird bei der Süderog am Hamburger Sand ein Ort gezeigt, welcher Süntkalf geheißen und es ist ein Sprichwort:
Auch der Däne Hans Christian Andersen (geb. 1805/ gest. 1875) verwendet das Motiv der Rungholt Sage. In seinem Roman "de to baronesser" welcher im Jahre 1848/49 erschienen ist, lässt er eine der Hauptprotagonistinnen des Romans die Geschichte um Rungholt erzählen.
Die Magd Keike erzählt: "Vor vielen hundert Jahren waren alle Inseln rundum eine einzige gewesen. Dann war das Meer gekommen
und hatte Dörfer und Kirchen verschlungen. Die Leute waren auf Balken und Brettern im Wasser geschwommen; Wiegen mit kleinen Kindern darin trieben umher. Das Land hatte sich in viele Inseln
geteilt, die immer kleiner wurden und schließlich ganz verschwanden. Föhr und Sylt waren noch lange mit einander verbunden gewesen. Es hatte da ein großes Dorf gegeben, wo gottlose Menschen
lebten: Rungholt. Dort machten sich einige einen bösen Scherz, indem sie eine Sau besoffen machten und ins Bett legten. Dann schickten sie nach dem Pfarrer, er solle der Kranken die
Sterbesakramente reichen. Als er sich weigerte, drohten sie, ihn ins Wasser zu werfen. Während sie grölend beratschlagten, entwischte er. Doch auf dem Heimweg traf er an einer Schenke zwei
gottlose Kerle, die ihn zwangen, mit in die Schankstube zu kommen und zu erzählen, wo er gewesen sei. Als er schilderte, welchen Spott man mit ihm getrieben hatte, lachten sie und nahmen ihm die
Schachtel mit dem Sakrament weg und gössen Bier hinein. „Wenn Gott da drin ist, soll er etwas zu trinken haben“, höhnten sie. Als der Pfarrer sie wiederbekam, brachte er sie in die
Kirche und bat Gott, die Lästerer zu bestrafen. In der Nacht, als er im Bett lag, wurde er von unserem Herrn gewarnt, er solle das Land schnellstens verlassen. Dann kamen Sturm und Hochwasser;
ganz Rungholt und sieben Kirchdörfer versanken. Nur der Pfarrer, seine Magd und zwei Jungfrauen, die beim Beten gewesen waren, überlebten. „Die Familie gibt es noch“, versicherte Keike, „es sind
Bakke Boyesens. Ganz sicher wird sich Rungholt mit all seinen Bewohnern am Tag des Gerichts aus den Fluten erheben. Bei klarem Wasser kann man dort unten noch immer Häuser, Kirchtürme und Mühlen
erkennen. Ich habe sie nicht selbst gesehen, weil ich die Augen schloss, aber ich hörte ein Läuten – das waren die Glocken von dort unten.“
Auch der Husumer Theodor Storm (geb. 1817/ gest. 1888) hatte seine eigene Version der Geschehnisse um Rungholt und das Jahr 1362. Unter den noch noch frischen Eindrücken des Deutsch-Dänischen Krieges schrieb er diese nieder. Der Kireg war erst drei Jahre zuvor beendet worden und schrieb Storm 1871:
Einst zu König Abels Zeiten, und auch später noch, stand es oben im Sonnenlichte mit seinen stattlichen Giebelhäusern, seinen Türmen und Mühlen. Auf allen Meeren schwammen die Schiffe von Rungholt und trugen die Schätze aller Weltteile in die Heimat; wenn die Glocken zur Messe läuteten, füllten sich Markt und Straßen mit blonden Frauen und Mädchen, die in seidenen Gewändern in die Kirche rauschten; zur Zeit der Äquinoktialstürme stiegen die Männer, wenn sie von ihren Gelagen heimkehrten, vorerst noch einmal auf ihre hohen Deiche, hielten die Hände in den Taschen und riefen hohnlachend auf die anbrüllende See hinab: >Trotz nu, blanke Hans!<
Aber das rotwangige Heidentum, das hier noch in uns Allen spukt, – «
»Ich bitte doch, mich freundlich auszunehmen!« schob die Geheimrätin mit etwas strammem Lächeln dazwischen.
Ich verbeugte mich zustimmend. »Es bäumte sich noch einmal auf gegen den blassen aufgedrungenen Christengott; die Männer von Rungholt – so wenigstens haben es die geistlichen Chronisten aufgeschrieben – beriefen eines Tages einen Priester und hießen ihn einer kranken Sau das Abendmahl geben. Da ergrimmte der Herr und ließ wie zu Noäh Zeiten seine Wasser steigen; und über die Deiche und Mühlen und Türme schwollen sie; und Rungholt mit seinen blonden Frauen und seinen trotzigen Männern« – und ich wies mit dem Finger rückwärts, wo noch vom Kiel unseres Schiffes das Wasser in der Sonne strudelte – »dort steht es unten, unsichtbar und verschollen auf dem Boden des Meeres. Nur zu Zeiten bei hellem Wetter, wenn in der einsamen Mittagsstunde die Wimpel schlaff am Mast herunterhängen und die Schiffer in der Koje schnarchen, dann – wie die Leute sagen – >dühnt es auf<. - Wer dann mit wachen Augen über Bord ins Wasser schaut, kann gewahren, wie Türme mit goldenen Gockelhähnen aus der grünen Dämmerung aufsteigen; vielleicht mag er sogar die Dächer der alten Häuser erkennen, und wie zwischen dem Seetang, der sie überstrickt hat, seltsam schwerfälliges Getier umherkriecht, oder zwischen den zackigen Giebeln in die Enge der Gassen hinabschauen, wo Muschelwerk und Bernstein die Tore der Häuser verbaut hat und der nie rastende Flut- und Ebbstrom mit den Schätzen versunkener Schiffe spielt. – Aber auch die Schiffer unter Deck erwachen und richten sich auf, denn unter sich aus der Tiefe hören sie es läuten; das sind die Glocken von Rungholt
Detlev von Liliencron (geb. 1848/ gest. 1909) setzte mit seiner Ballade "Trutz Blanke Hans!" der Stadt Rungholt 1882 ein Denkmal. Der Lyriker und Bühnenautor übernahm Motive aus der Legende von Heimreich. Teile des Textes wurde 2015 von den Flensburger Musikern Santiano übernommen. Bei von Liliencrone lautet der Text wie folgt:
Heute bin ich über Rungholt
gefahren,
die Stadt ging unter vor
sechshundert Jahren.
Noch schlagen die Wellen da wild und empört
wie damals, als sie die Marschen zerstört.
Die Maschine des Dampfers schütterte, stöhnte,
aus den Wassern rief es unheimlich und höhnte:
Trutz, Blanke Hans!
Von der Nordsee, der Mordsee, vom Festland geschieden,
liegen die friesischen Inseln im Frieden,
und Zeugen weltenvernichtender Wut,
taucht Hallig auf Hallig aus fliehender Flut.
Die Möwe zankt schon auf wachsenden Watten,
der Seehund sonnt sich auf sandigen Platten.
Trutz, Blanke Hans!
Mitten im Ozean schläft bis zur Stunde
ein Ungeheuer, tief auf dem Grunde.
Sein Haupt ruht dicht vor Englands Strand,
die Schwanzflosse spielt bei Brasiliens Sand.
Es zieht, sechs Stunden, den Atem nach innen
und treibt ihn, sechs Stunden, wieder von hinnen.
Trutz, Blanke Hans!
Doch
einmal in jedem Jahrhundert entlassen
die Kiemen gewaltige Wassermassen.
Dann holt das Untier tiefer Atem ein
und peitscht die Wellen und schläft wieder ein.
Viel tausend Menschen im Nordland ertrinken,
viel reiche Länder und Städte versinken.
Trutz, Blanke Hans!
Rungholt ist reich und wird immer reicher,
kein Korn mehr faßt selbst der größeste Speicher.
Wie zur Blütezeit im alten Rom
staut hier alltäglich der Menschenstrom.
Die Sänften tragen Syrer und Mohren,
mit Goldblech und Flitter in Nasen und Ohren.
Trutz, Blanke Hans!
Auf
allen Märkten, auf allen Gassen
lärmende Leute, betrunkene Massen.
Sie ziehn am Abend hinaus auf den Deich:
"Wir
trutzen dir, Blanker Hans, Nordseeteich !"
Und
wie sie drohend die Fäuste ballen,
zieht
leis aus dem Schlamm der Krake die Krallen.
Trutz, Blanke Hans!
Die Wasser ebben, die Vögel ruhen,
der liebe Gott geht auf leisesten Schuhen,
der Mond zieht am Himmel gelassen die Bahn,
belächelt den protzigen Rungholter Wahn.
Von
Brasilien glänzt bis zu Norwegs Riffen
das
Meer wie schlafender Stahl, der geschliffen.
Trutz, Blanke Hans!
Und überall Friede, im Meer, in den Landen.
Plötzlich, wie Ruf eines Raubtiers in Banden:
das
Scheusal wälzte sich, atmete tief
und schloß die Augen wieder und schlief.
Und rauschende, schwarze, langmähnige Wogen
kommen wie rasende Rosse geflogen.
Trutz, Blanke Hans!
Ein
einziger Schrei- die Stadt ist versunken,
und Hunderttausende sind ertrunken.
Wo gestern noch Lärm und lustiger Tisch,
schwamm
andern Tags der stumme Fisch.---
Heut bin ich über Rungholt gefahren,
die Stadt ging unter vor sechshundert Jahren.
Trutz, Blanke Hans!